Teil 1 Azoren – Englischer Kanal und 7 Seetage bis zum Bergfest

Freitag, 17.05.2019, 1. Tag auf See, 51 Seemeilen
Es geht los. Ablegen um 10:30 Uhr. Loggenstand 11.797 Seemeilen. Die Segel stehen bereits im Vorhafen und unter Genua, Groß und Besan geht es aus den Hafen. Atlantik, wir kommen. Der Wind kommt im Moment aus Nord. Kaum haben wir die nächste Insel an Steuerbord, liegen wir in Lee. Motor an. Segel runter. Nun denn; immerhin haben wir eineinhalb Stunden gesegelt. Der Motor wird abgestellt, als wir eine halbe Stunde später wieder freien Seeraum und NW haben. Mit 70° versuchen wir im Mittel zu steuern. Die Navigation erfolgt klassisch; mit Sextant, Peilungen und Standlinien. Plotter und GPS sind „abgedeckt“, laufen hinter dem Vorhang im Standby Modus zur Sicherheit mit. Kristian navigiert zur Übung ohne Elektronik!? Wir wollen den Englischen Kanal so finden. Das Radar läuft bei unsichtigen Wetter zusätzlich mit.

Der Tag vergeht im 3 Stundenrhythmus der Wachmannschaften. Wir sind drei Gruppen, die Jungen: Maj und Kristian, die Frauen: Kerstin und Simone und wir Alten: Maarten, Peter (Ich) und Thomas. Christoph ist Standby und vom Wach- und Backschaftsplan befreit. Außer ein paar Fischern sehen wir keine anderen Boote. Bei einer Wende passiert mir ein Malheur. Ich versuche das Unterliek der Genua durch den Spalt zwischen 1. und 2. Vorstag in der Wende durch zu ziehen. Der Segeldruck reißt mich von den Beinen und ich lande im freien Fall unsanft auf der Ankerwinde. Die Rippen schmerzen, sind aber bis auf eine Prellung in Ordnung. Das Lachen tut weh und alle kräftigen Bewegungen auf der rechten Seite versuche ich zu vermeiden. Gut, das ich Küchendienst habe und werde vom Skipper für heute von den Arbeiten an Deck befreit. Für das Abendessen habe ich einen falschen Hasen in der Röhre. Das frische Rinderhack muss zuerst weg. Gefüllt habe ich den Braten mit 2 Kochbananen aus der Karibik. Mal schauen ob die gar werden.
Jetzt schauen uns beim Aufschneiden des Bratens 2 (Bananen) Augen an. Nach dem Lob zu urteilen, haben nicht nur die Bananen geschmeckt. Bis 03:00 Uhr habe ich Freiwache und verhole mich in die Koje.

Ab in die Röhre

Samstag, 18.05.2019, 2. Seetag 150 Seemeilen
Meine Wache beginnt um 03:00 Uhr Im Mittel können wir nur noch 50° halten. NW 3-4. Klüver, Fock, Groß und Besan sind oben. Speed ist angesagt, auch wenn der Kurs noch nicht richtig ist. Wir haben die letzte Insel zur Kreuzpeilung bereits achteraus und viel freien Seeraum voraus. Das Mondlicht ist ausreichend und mit einer Borddusche aus dem Eimer auf dem Achterdeck beende ich meine Wache.

Die Rippen schmerzen noch immer, aber im Vergleich zu gestern ist es besser geworden. Die Yogaübungen auf dem Vordeck unterstützen die Genesung. Bis zum Frühstück verbringe ich lesend die Zeit. SPI-time ist angesagt. Das bunte Segel steht von Sonnenaufgang bis Untergang. Nachmittags sehen wir einen anderen Segler an Steuerbord voraus. Bis zum Abendbrot holen wir auf und sind vor der Dunkelheit vorbeigezogen. Zur Abwechslung besucht uns eine Delphinschule mit 8 oder 9 verspielten Kids, die mit der Bugwelle surfen. Zu essen gibt es die Reste von gestern, die mit weiteren Zutaten zu einem Eintopf verlängert werden. Im Anschluss beginnt unsere 3. Wache, die Mitternacht beendet wird. Insgesamt sind heute drei Frachter im Radar und mit dem Augapfel gesichtet worden. Wir haben es uns verkniffen nach unseren Standort per Funk anzufragen. Christoph hat auf der Rückseite einer alten Karte der Deutschen Bucht eine Mercator „Karte“ mit den Längen und Breiten aufgezeichnet und die Grade unterteilt. Hierauf trägt Kristian mit der traditionellen Navigation unseren Kurs und unseren jeweiligen Standorte nach der Mittagssonne ein.

Sonntag, 19.05.2019, 3.Seetag 183 Seemeilen
Unsere Wache zieht um 06:00 Uhr bei Vollmond auf. Es ist „hell“ für diese Tageszeit. Mit Sonnenaufgang beginnen die Eimerduschen auf dem Achterdeck, sitzend auf dem „Donnerbalken“ im Heckkorb. Das Wasser ist 18-20° kalt oder warm, je nach Gusto. Angebissen hat kein Fisch, obwohl wir 2 Leinen mit Köder im Schlepp ziehen. Dann kommt halt der Sonntagsbraten heute in die Röhre. Für einen Sonntag üblich gibt es Eier zum Frühstück. Jeder will eine andere Kochzeit haben, also werden die Eier entsprechend beschriftet. 6, 7, 8 oder 9 Minuten stehen auf der Schale.

Vor dem Mittagstisch platzt eine Naht vom SPI. Ergo SPI runter und die ausgebaumte Genua hoch. Die Sicht vermindert sich; das Radar läuft sicherheitshalber mit. Christoph kann keine Mittagsbreite mit dem Sextanten schießen. Die Sonne ist nicht sichtbar. Die Dünung hat sich gewaltig aufgebaut. Es gibt keinen trockenen Platz mehr an Deck, wir nehmen viel blaues Wasser über; denn der Wind hat auf SW 5-6 gedreht und der Wellenwinkel wird unangenehm. Einziges Ereignis: Wir sehen einen roten Frachter auf Gegenkurs. Wir segeln platt vor dem Laken, Rückenwind, zwischen 7-9 Knoten Fahrt durchs Wasser. Abends gibt es Thunfisch auf einem Tomaten-Reis-Beet. Wir bauen mit dem Reis einen Ringwall und Füllen diesen mit Fisch und Soße auf. So läuft die Soße bei der Schräglage nicht zum Tellerrand.

Montag, 20.05.2019, 4. .Seetag Tag 160 Seemeilen
Weiterhin steht eine hohe Dünung. In der Koje kann ich nur auf dem Rücken oder Bauch liegen. Seitlich klappt es überhaupt nicht. Dann führen die Roll- und Schlingerbewegungen zum Anstoßen der Schulter, Knie und Füße.

Unter Deck ist die Segelwerksatt eingerichtet. Auf dem Salontisch wird geklebt und in der Navi wird anschließend die geplatzte Naht vernäht. Wir sind wieder Klar bei SPI. Die Sonne scheint und wir nehmen unseren Lunch im Cockpit ein. Reisreste mit frischem Salat aufgepeppt und mit karibischer Mango Soße gewürzt. Der Wind legt nach dem Kaffee eine Pause ein und der Motor wird gestartet. Das Geräusch des Motors bleibt uns für heute Abend erhalten. Die Dünung allerdings auch. Das Flappen des Großsegels wird beendet. Es wird heruntergeholt und bei der Gelegenheit eine Lattentasche ausgebessert. Der umlaufende schwache Wind und die abnehmende Dünung sorgen bei allen Mitseglern in der Freiwache für einen tiefen und festen Schlaf.

Besondere Vorkommnisse heute: Kerstin sichtet einen roten Fender. Nach Rücksprache mit dem Skipper fahren wir ein Fender an Bord Hol-Manöver und so landet der „riesige“ rote Fender zwischen Beiboot und Steuerhaus an Deck. Den wird ein Fischer verloren haben. Nach Yachtgrößen aufgeteilt, müsste es ein F-6 sein. Vielleicht können wir den Fender bei einem Fischer unterwegs gegen frischen Fisch tauschen.

Dienstag, 21.05.2019, 5 .Seetag 190 Seemeilen
Endlich Ruhe im Karton, äh Schiff. Bis auf die leichte Dünung sind die Schiffsbewegungen heute früh moderat. Der Wind hat auf Süd gedreht und bei 3-4 ziehen wir mit 6-8 Knoten bei 65° unsere Kielspur in den Atlantik. Das Wetter ist nicht sehr einladend zur Decksdusche. Deshalb wird das Frühstück heute lange ausgedehnt. Mit dem Wind nimmt unsere Bootsgeschwindigkeit ebenfalls zu. Vor dem Wachwechsel werde ich von Maarten, der die Koje über mir hat, hart, aber heftig geweckt. Er rutscht ab und landet auf meinem Brustkorb. Klasse, wenn so 114 Kg auf lädierten Rippen landen. Es dauert eine Weile, bis das Luftholen schmerzfrei gelingt.

Zur Mittagszeit verkriechen wir uns zum Lunch unter Deck. Die Pasta Bolognese von gestern Abend kommt verlängert als Eintopf ohne Nudeln auf den Tisch. Im Cockpit wird die zerlegte Bilgenpumpe gereinigt. Aus Leder schneidet Maj eine neue Ansaugfläche als Membranersatz, die gleichzeitig den Hubraum abdichten soll. Der anschließende Test verläuft positiv. Die achterne Bilgenpumpe saugt Wasser an und hält dicht. Nun bleibt des Skippers Kojenende trocken. Zur Kaffeezeit lacht die Sonne und lockt nacheinander alle zur Decksdusche vor dem Mast. Die nasse Bettwäsche von Christoph weht wie unsere Handtücher im Wind. Gut das niemand unsere Gelsenkirchener Beflaggung sehen kann.

Wir sind auf der Langfahrt angekommen. Kein Handy klingelt, kein WhatsApp rappelt, an den Navigationsinstrumenten wird nicht gescrollt und niemand daddelt auf dem Wisch Tablet herum. Jetzt könnte es ewig so weitergehen. Wir sind im Rhythmus, Wachen, Essen, Schlafen, Waschen, Lesen, Schreiben und Reden. Kristian koppelt weiter und der Rückseite der Deutschen Bucht Karte. Hier ist in der selbst gezeichneten Mercatorkarte unser bisheriger Kurs eingetragen. Wer hat eine leere DIN A 3 Seite? Die Karte ist vollgeschrieben. Wenn wir sonst keine Probleme haben?

Zur Nacht wird die Genua gegen Fock und Klüver gewechselt und ein erstes Reff in das Groß gebunden.

Besondere Vorkommnisse: Kein Schiff, kein Vogel, keine Delphine; dafür Schwertfisch Steaks aus der Pfanne und Süß- und normale Kartoffeln als Sättigungsbeilage.

Mittwoch, 22.05.2019, 6. .Seetag 193 Seemeilen
Wir ziehen um 06:00 Uhr mit unserer Mannschaft auf, nachdem wir um 24:00 Uhr das letzte Mal Wache hatten. Es ist diesig. Die Sicht liegt unter 1 Seemeile. Das Radar läuft mit. Thomas hat Backschaft und so haben Maarten und ich alleine Wachdienst. Dafür versorgen uns Simone und Thomas mit Spiegeleiern al Gusto in allen Variationen. Unser Bootsmann Kristian wird bereits in der Koje von Maj verwöhnt Er bekommt den gewünschten Mac Muffin Sunny Side Up gereicht und lässt sich das Eibrötchen in der Koje schmecken.

Die „Alten“ Wache

Besondre Vorkommnisse: Regen, Regen, Regen, welch ein Trauerspiel. Der griechische Salat lässt die Sonne in der Kombüse aufgehen. Simone hat den Schafskäse gegen die Schwertfischstückchen ausgetauscht. Zwischendurch Kaffee und Kekse, wieder Regen, ein Schiff im Radar und Regenschatten auf dem Bildschirm. Jeder Rudergänger kann heute die Atmungsqualität und Wasserdichtheit seines Ölzeugs und der Stiefel testen. Und es regnet weiter. Aller Optimismus ist verflogen, heute einmal die Sonne und die Segelanzüge zum Trocknen an der Reling hängen zu sehen. Regenzeit = Kochzeit. Simone zaubert eine Schweizer Kartoffelsuppe mit viel Einlage aus unseren Vorräten.

Donnerstag, 23.05.2019, 7. .Seetag – Bergfest – 150 Seemeilen
Mit dem neuen Tag beginnt unsere Wache. Der Südwind verabschiedet sich nach 2 Tagen im Laufe der Nacht, und dreht über Ost bis mittags auf Nord. Ein parallel laufender Segler wird während unserer Nachtwache im 3 Seemeilen Abstand überholt.

Heute habe ich mit Simone Backschaft. Sie schnippelt Obstsalat in Ihrer Wache und ich ebenfalls nach dem Aufstehen. Jetzt haben wir doppelt Obst mit Vitaminen für heute und morgen zum Frühstück. Der Rinderbraten für heute Abend wird chambriert und ist mit Dijon Senf eingerieben. Zum Lunch gibt es Thunfisch Creme auf den letzten Azoren Brotscheiben verteilt.

Speed ist angesagt; denn wir haben unsere Mittagsbreite. Mit dem SPI können wir unseren „zu“ nördlichen Standort in den Kanal korrigieren und lassen ihn laufen. SPI, wir folgen Dir bei 80-90° gen Osten!

Wetter: Mit Sonne wird nicht nur der Sextant eingesetzt; sondern alle Segelanzüge zum Trocknen aufgehängt. Wir haben warmes Seewasser zum Duschen. Das Meerwasser ist von der Motorstunde heute Nacht immer noch angenehm warm. Viel besser als die Eimerdusche im Heckkorb.

Besondere Vorkommnisse: Ein kleiner Vogel verirrt sich an Bord und setzt zur Notlandung an. Er erhält unsere Fürsorge. Wir stellen eine Schale Wasser für ihn bereit. Trinkt der Vogel? Friss (Trink) Vogel oder stirb. So grausam kann ein Vogelleben auf dem Atlantik sein. Er entscheidet sich zum Weiterflug und Weiterleben, das jäh endet. Er schafft den Aufstieg gegen den Wind nicht und fällt dem Meer zum Opfer.

Mit dem SPI können wir den gepeilten Kurs nicht halten. Die Entscheidung auf die Genua zu wechseln, wird durch den auffrischenden Wind bestätigt.

Besonderheiten: Zum Bergfest kocht der Skipper den Hauptgang und hebt das Alkoholverbot beim Diner einmalig für eine Flasche Rotwein auf. Die eine Hälfte bekommt der Braten, die andere wird durch 8 geteilt.

Weiter mit Teil 2 und dem Video https://youtu.be/J1Z6l6gw85Q Teil 1
An Bord hatte ich nur Genesis Songs mit und Home by the Sea hat zumindest etwas mit unserer Reise gemein.